Das kleine Freibad 2  - ein verheerender Unfall

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ie nächsten Tage und Wochen waren verdammt hart. Im Gegensatz zu Anna hatte ich zwar keinen Hausarrest, verbrachte aber trotzdem die meisten Tage daheim, da ich sonst eigentlich immer mit Anna unterwegs war. Alleine was zu unternehmen war mir irgendwie zu doof. Da kam mir die SMS von Vanessa gerade recht.  „Bock auf Freibad? Dann komm vorbei“ Da ich mich auf die Schnelle nicht entscheiden konnte, welchen Bikini ich anziehen sollte, packte ich einfach meine 3 Lieblingsteile in den Rucksack. Dazu noch ein Handtuch und meine rote K-Way Jacke, falls es nachher kühler würde.

Als ich abgehetzt zum Freibad kam, ich hatte mich beeilt erwartete mich eine echte Überraschung. Vor dem Freibad wartete der nette Gasmann. Als er mich sah, fragte er mich: „was willst du denn hier?“ das klang schon recht komisch, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er etwas verwirrt war. „ich bin hier mit 2 Freundinnen verabredet“ sagte ich. Da die Räder der Zwillinge nicht da waren, ging ich erst davon aus, dass die Beiden noch auf dem Weg waren. also wartete ich mit ihm vor der Tür. Als ich ihm die Gegenfrage stellte, erzählte er mir, dass er eine Freundin per SMS eingeladen hätte, aber nicht unbedingt wüsste, ob sie käme. Wir warteten noch eine knappe halbe Stunde, bis ich schließlich aufgab. „die Zwillinge kommen wohl nicht mehr“ sagte ich. als ich Zwillinge sagte, machte er ein äußerst merkwürdiges Gesicht. Ich erzählte ihm dann dass ich von Vanessa eine SMS bekommen hatte. nun wurde er richtig verlegen.

„du hast die SMS bekommen?“ fragte er dann ich wusste immer noch nicht was hier gespielt wurde, aber irgendwie war mir klar, dass das alles zusammenhing. Dann erzählte er mir von meiner geilen rothaarigen Freundin mit dem süßen kurzen Regenjäckchen. Und dass er sie so gerne mal getroffen hätte. blieb noch die frage, warum die SMS von Vanessas Handy kam. Die Erklärung folgte auf dem Fuße. Er und Vanessa waren seit ein paar Tagen zusammen und sie hatte ihm erzählt, dass „die süße mit der Regenjacke“ ich war. eigentlich logisch, denn ich hatte ja fast immer so was in der Art an. ich fand das irgendwie nicht gut, dass er sich hinter Vanessas Rücken mit einer Anderen traf.

als er mir dann erzählte, dass er das Jäckchen von Anna so bewundert hatte, erzählte ich ihm schließlich, dass es eigentlich meine Jacke war, und wie ich sie damals Annas kleiner Schwester Jenny abgeluchst hatte. Außerdem erzählte ich ihm wie Anna das mit dem Bauchfrei-Look hinbekommen hatte. „Schade, ich hätte meine Jacke der Anna so gerne gezeigt.“ Sagte er. Ich fragte schließlich, ob ich sie nicht mal anprobieren dürfte. Er gab nach. „aber nicht hier“ sagte er. Warum er das auch immer wollte war mir zu diesem Zeitpunkt relativ egal. Wir fuhren ein Stück, bis wir an eine kleine Schule kamen. Hier war weit und breit nichts los. In einer kleinen Ecke unter dem Vordach, wo sich offenbar öfter welche zum Rauchen trafen, das schloss ich aus den unzähligen Kippen die dort lagen, holte er schließlich seine Jacke hervor. Auch wenn es damals so abgetan hatte, machte es mich nun doch neugierig, wie seine Jacke nun aussah.

Als ich das gute Stück dann erblickte, verschlug es mir den Atem. Es war genau die gleiche Jacke, wie ich sie hatte. Nur war seine deutlich größer. Außerdem war sie oben, wo meine rot war blau, und unten, wo meine blau war eben rot. „sag mal, du hast doch bestimmt ne Regenjacke dabei“ sagte er grinsend. Ich holte schließlich meinen roten K-Way Anorak hervor. dann dürfte ich endlich in seine Jacke schlüpfen. „aber vorher darf ich mal deine anprobieren“ sagte er. Wie ich es erwartet hatte, war ihm mein Anorak viel zu eng. Immerhin bekam er den Reißverschluss zu.

„darf ich noch was anderes ausprobieren?“ fragte er. ich hatte ein leicht ungutes Gefühl und stimmte zu, wenn er mir vorher verraten würde, was er vor hatte. „ich will, dass du meine Jacke mal falschrum anziehst.“ Sagte er. ich witterte eine Chance, so an die Jacke heran zu kommen. Das wollte er dann doch nicht. Aber er versprach mir, mir die Jacke zu leihen, wenn ich mitmachen würde. ich hatte nicht die geringste Ahnung was er vor hatte, und warum er darauf bestand, seine Jacke mit der matten Innenseite nach außen zu sehen.

Ich war gerade dabei sie herum zu krempeln, da sagte er: „nein, ich meine mit der Kapuze nach vorne. Also krempelte ich sie wieder richtig herum, dann schlüpfte ich hinein. Er zog den Reißverschluss hoch, und befahl mir „Setz die Kapuze auf“ kaum hatte ich das getan, zog er die Bändel stramm, und band sie hinten zusammen. eigentlich fühlte ich mich dabei gar nicht wohl, denn durch den dunkelblauen Stoff erkannte ich so gut wie nichts. Erst als ich ans Licht trat konnte ich ganz schemenhaft erkennen, was um mich herum geschah. Ich merkte wie sich das beschleunigte Atmen negativ darauf auswirkte wie ich Luft bekam, also zwang ich mich ruhig zu bleiben. Es gelang mir auch halbwegs.

Dann forderte er, dass ich meine Jacke noch oben drüber ziehen sollte. Er half mir hinein. Nach dem er dann auch meine Kapuze verschnürt hatte, das schränkte mein Gesichtsfeld noch Mals ein wenig ein, bemerkte ich, dass er mir die Jacke falschherum, also mit der glänzenden Innenseite nach außen angezogen hatte. Ich fand es ein wenig schade, dass ich mich so nicht sehen konnte. dann hörte ich plötzlich eine Kamera klicken. Das Geräusch klang aber eher synthetisch. Nun bekam ich langsam echt Panik. Bisher hatte er ja alles was er machte haarfein erklärt. In panik griff ich nach dem Knoten der die Kapuze meiner roten Jacke zusammenhielt. Zum Glück ließ er sich, wie der andere auch leicht öffnen. Nun stand ich also da. Meine rote Jacke offen, und die blaue Kapuze seiner Jacke nach vorne hängend wie der Futtersack eines Maultieres.

„das sieht echt drollig aus“ sagte er lachend. Mir war aber gar nicht nach Lachen. „Das war nicht abgemacht“ sagte ich. Daraufhin zeigte er mir sein Handy, und zeigte mir das Bild was er gemacht hatte. „Wenn du unbedingt willst, dann lösch ich es eben wieder“ sagte er. das ließ in mir ein Wenig vertrauen aufkommen. Ich erlaubte ihm schließlich das Bild zu behalten und noch ein Bild zu machen, so wie ich gerade war. auch das zeigte er mir selbstverständlich. Ich fand zwar dass es doof aussah, erlaubte ihm aber ebenfalls das Bild zu behalten. So langsam fasste ich vertrauen. Während ich mir also die Jacken auszog redeten wir noch ein Wenig. „deine rote K-Way gefällt mir“ sagte er. dann erzählte ich ihm davon, dass ich noch eine solche Jacke in Hellblau und deutlich größer hatte. „… aber die ist zum reinschlüpfen“ sagte ich ihm. Davon war er echt angetan.

Ich hatte die Jacke mal mangels guter Bilder (nur das verpackte Päckchen) und der sehr schwammigen Größenangabe „S“ für ein paar Euros bei EBAY ersteigert und eigentlich vor, sie wieder zu versteigern, um mir andere tolle Sachen zu finanzieren. Die Auktion lief auch schon ein paar Tage. Ich nahm ihn also mit zu mir nach Hause, um ihm das gute Stück zu zeigen. Er war sofort davon angetan. Das nutzte ich aus, und machte unmissverständlich meinen Standpunkt klar. „die Jacke gegen deine“ sagte ich. Das war ihm doch nicht so ganz recht. Immerhin verband er mit seiner Jacke gewisse Erinnerungen, wie er mir gestand. Ich ahnte schon, was das heißen würde. und irgendwie machte mich die Vorstellung an.

Schließlich bot er mir 100 € dafür. Mir war klar, dass solche Jacken wenn man ein wenig Glück hatte, zu wahnsinnspreisen gehandelt wurden, dennoch war ich einfach zu spitz auf seine, dass ich darauf eingehen wollte. schließlich einigten wir uns darauf, dass ich ihm das gute Stück ausleihen würde, und er mir dafür seine als Pfand da ließ. Als ich dann die Auktion beendete, traf mich der Schlag. sie lief noch 4 Tage, der Preis war aber schon deutlich über 100 € geklettert. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, es einfach laufen zu lassen, und die 2. Jacke der Art, die ich schon hatte, zu verkaufen, aber das wollte ich dann doch nicht.

Ich hatte vorher noch nie eine Auktion bei EBAY abgebrochen. Wie einfach das ging, überraschte mich doch sehr. Ich rechnete damit, dass es wie so einiges bei EBAY unnötig komplex würde. stattdessen war da einfach nur ein Formular. Ich klickte auf (*) Artikel steht nicht mehr zum Verkauf… dann die kleine Überraschung. „Artikel mit bestehenden Geboten können nicht abgebrochen werden.“ Ich überlegte mir schon, ob ich nicht doch meine andere hellblaue Schlupfjacke opfern sollte, oder vielleicht einfach unter einem anderen Namen mit Unsummen mitbiete. Doch dann fiel mir auf, dass der Text noch weiter ging: „Streichen Sie ihre Gebote bevor sie den Artikel entfernen“ Das wiederum ging sehr einfach. Und abgesehen von einigen blöden Mails bekam ich noch nicht mal irgendwelchen Ärger.

So schön der Sommer auch war, so langsam ging er vorüber und es wurde herbstlicher. Die ersten Blätter fielen von den Bäumen und nachts wurde es schon richtig kalt. Für mich war das sehr schön, denn so hatte ich mehr Gelegenheiten „meine“ neue Jacke auch draußen öfter zu tragen. Die Sache mit Anna hatte sich zwischenzeitlich auch wieder halbwegs eingerenkt, nach dem ich ihrer Mama versprechen musste, sie niemals wieder zum Schule schwänzen anzustiften. Außerdem musste ich versprechen, mich mit meinen „guten Ratschlägen“ zurück zu halten. „du musst das verstehen“ sagte Annas Mama zu mir, „meine Süße kriegt so was schnell mal in den falschen Hals.“ Anna fand diesen Kommentar nicht so besonders lustig. das wiederum amüsierte mich ein wenig, ich wollte mir aber das Lachen verkneifen, um die frisch wieder aufkeimende Freundschaft zwischen Uns nicht unnötig zu strapazieren.

An jenem Nachmittag waren die Zwillinge mit Anna und mir zum Radfahren verabredet. Für mich die perfekte Gelegenheit den Beiden ihr überfälliges Geschenk zu überreichen. Just an dem Tag, als die zwei 17 wurden, war das World Trade Center einem hinterhältigen feigen Terroranschlag zum Opfer gefallen. Deshalb war die Party ausgefallen. Ich hatte den Zwillingen dünne Nylonregenjacken besorgt. Die beiden Jacken hatte ich beim Schlussverkauf in einem kleinen Outdoorshop entdeckt. Sie waren nicht besonders aufwändig gearbeitet. Die Brusttaschen hatten keine Reißverschlüsse. Außerdem gab es keine Bauchgurte und auch der Raum hinter den dicken schwarzen Kunsthoffreißverschlüssen war nicht wie ich das sonst von solchen Schlupfjacken gewohnt war, mit einem Zwickel hinterlegt. Trotzdem waren die Jacken ordentlich verarbeitet, machten also einen guten Eindruck. Der Markenname „X-Mail“ sagte mir nichts weiter. Aber irgendwie fand ich, passte das zu den Zwillingen. Da ich ihren Geschmack recht gut kannte, suchte ich mir für Vanessa eine neongrüne und ihre Schwester Tessa eine neonorangefarbene Jacke aus.

Mein Geschenk kam genauso gut an, wie ich vermutet hatte. jedoch sollten mich an jenem Nachmittag einige Überraschungen erwarten. Zunächst mal schnappte sich Tessa die grüne Jacke. Vanessa schien mit der orangefarbenen auch sehr zufrieden. dass dies nicht unbedingt endgültig war, ahnte ich bereits. Die nächste Überraschung war, dass Vanessa einmal keine Latzhose trug. stattdessen hatte sie zu ihrer Jeans eine dunkelblaue dünne Polyesterwinterjacke an. die Jacke war recht lang und schmal geschnitten. vorne hatte sie 2 aufgesetzte Taschen mit dicken Metalldruckknöpfen an den Abdeckklappen. Außerdem hatte sie eine Brusttasche mit einem senkrechten Metallenen Reißverschluss.

Als ich sah, wie sehr Vanessa ihre neue Jacke gefiel, schöpfte ich schon ein wenig Hoffnung, an ihre Jacke zu kommen. Das war aber ein Trugschluss. Sie zog sich die fest angebrachte Kapuze ihrer blauen Jacke über den Kopf, dann schlüpfte sie in die orangefarbene Jacke, zog sich ebenfalls die Kapuze über, dann setzte sie beide gemeinsam ab, so dass sich die blaue Kapuze in die orangefarbene legte. Die Schlupfjacke fiel ein gutes Stück kürzer aus als ihre Winterjacke, die gute 10 cm unten herausguckte. Auf mein „das sieht doch nix aus“ stieg sie leider nicht ein.

Wir waren noch nicht lange unterwegs, da kamen wir an eine Stelle, an der uns der Weg über eine Brücke führte. Jedenfalls nannte Tessa es Brücke. Alles was ich sah waren 2 rostige Eisenträger zwischen denen etwa ein halber Meter bröckeliger Beton hing. So ganz traute ich dem Frieden nicht. Vanessa sagte nur: „der Weg für feige Hühner ist gerade aus und da vorne links.“ Ich wollte fast schon ihrer Umleitungsempfehlung folgen, da sagte sie: wenn du dich über die Brücke traust, kriegst du auch meine Jacke. Ich wollte zu erst nicht, aber als ich dann sah, wie spielerisch leicht Vanessa über die so genannte Brücke fuhr, fasste ich mir ein Herz und fuhr ebenfalls. Ich fuhr wohl etwas zu langsam, und kam in der Mitte leicht ins Straucheln.

Zum glück konnte ich das Fahrrad noch abfangen. Vanessa hielt Wort. Auf der anderen Seite der Brücke zog sie sich ihre Jacken aus. da die Nylonjacke alleine zu dünn war, gab ich Vanessa stattdessen meinen Pullover, den ich unter meiner Schlupfjacke getragen hatte. kaum hatte ich Vanessas Jacke an, kam ihr Freund auf mich zu. „die brauchst du ja jetzt nicht mehr sagte er, und stopfte sie in die Brusttasche. Dann fiel ihm auf, dass die Bauchgurte fehlten. Ich hatte sie damals abgeschnitten weil sie eh ausgeleiert waren und außerdem störten sie mich. Als er mich darauf ansprach, entschuldigte ich mich. „der eine ist mir gerissen, da hab ich beide abgemacht.“ Sagte ich ganz kleinlaut. Toll fand er es nicht, beschwerte sich aber auch nicht weiter. Er tat die Jacke also in seinen Rucksack und sagte: „deine Jacke kriegst du später wieder“ was er mit später meinte, traute ich mich nicht ganz zu fragen, aber ich fand es gab wichtigeres. Zum Beispiel sich darüber zu ärgern, dass die Jacke wohl weg war.

Die ganze Tour über musste ich an die Regenjacke denken. nun hatte ich zwar Vanessas dunkelblaue. aber irgendwie war ich doch nicht zufrieden. während wir auf einer Anhöhe rasteten und den Sonnenuntergang genossen, dachte ich sogar daran, sie zu mopsen, machte aber dann doch einen Rückzieher, immerhin würde es ja doch auffliegen. Meine Vermutung, dass die Zwillinge ihre Jacken doch noch tauschen würden, bestätigte sich. auf dem Rückweg kamen wir wieder an jener Stelle vorbei. Diesesmal war Tessa die Angeberin die einzige die den Weg über die Brücke einschlug. es war einfach zu dunkel geworden und wir trauten uns das nicht zu. An der Stelle wo der eigentliche Radweg, den Vanessa so schön als „Weicheiroute“ bezeichnete den Weg den Tessa eingeschlagen hatte wieder traf, war keine Tessa. Zunächst dachte ich daran, dass sie vielleicht schon weiter gefahren war, denn von ihr war weit und breit nichts zu sehen, ob wohl die „Brücke“ von der Abzweigung aus zu sehen war.

Aus irgendeinem Grund drehte ich dann aber sofort um und fuhr zum Fluss. Der Anblick ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Tessa lag mit dem Gesicht voran im Wasser neben ihr Fahrrad die batteriebetrieben Lampe brannte noch. Zwischenzeitlich hatten auch die Anderen kapiert, dass irgendetwas nicht stimmte. Als Vanessas Freund Tessa da liegen sah, sprang er sofort ins Wasser um sie aufzuheben. Anna, die noch viel bleicher war als sonst, befahl er Tessas Kopf zu halten während er sie aufhob. Vanessa und ich sollten ihre Beine halten. Er schien so eine Situation nicht das erste Mal zu erleben. Trotzdem schien er sehr angespannt. Seine klaren Kommandos waren das Einzige was mich in dem Moment davor bewahrte durchzudrehen. Kaum hatten wir Tessa abgelegt. Auch Vanessa ging es nicht anders. Als er dann sagte „Scheiße, kein Puls“ begann Vanessa am ganzen Leib zu zittern. „ist meine Schwester…“ weiter kam sie nicht dann sagte sie nichts mehr.

Vorher war er so gefasst, dass ich mit solch einem Ausbruch nicht gerechnet hatte. ich dachte es wäre genau das richtige, wenn er jetzt Vanessa beruhigen würde. seine Antwort auf ihre Frage trug dazu nicht wirklich bei. „Noch nicht, aber wenn wir nicht endlich was tun ist sie bald tot“ sagte er. Plötzlich wirkte er wieder etwas gefasster. Du hilfst mir beim Reanimieren“ sagte er und zeigte dabei auf Anna.  Dann wendete er sich mir zu und trug mir auf mich um Vanessa zu kümmern. „nimm sie mit außer sichtweite“ befahl er mir. „und wenn ihr schlecht wird, Schocklage.“ Ergänzte er. Dann beugte er sich über Tessas Rumpf und begann mit Herzdruckmassage, während Anna auf Befehl hin Luft in ihre Lungen presste. Schon nach 2 oder 3-mal hustete Tessa.

In dem Moment fühlte er Tessas Puls. „sie wird wider“ rief er. Das war auch der Moment in dem Vanessa das Blut sah, das an ihren Händen klebte. Es war aus einer riesigen Platzwunde gekommen, die an Tessas Stirn klaffte. Jetzt sackte Vanessa zusammen. Ich konnte sie mit meinen weichen Knien gerade so noch auffangen. Ihr Freund schob ihr das Regenjackenpäckchen unter den Kopf, dann trug er mir auf, Vanessas Beine hoch zu halten. Nach dem er Tessas Wunde notdürftig versorgt hatte, konnte er alleine auf sie aufpassen. Deswegen konnte Anna mir helfen mich um Vanessa zu kümmern. Das war mir ganz recht, denn ich war zwischenzeitlich auch schon am Ende meiner Kräfte. Als Vanessa wieder zu sich kam, waren Tessa und ihr Freund schon auf dem Weg Richtung Krankenhaus. Es war noch ein Rettungswagen da. „ist der für Tessa?“ fragte Vanessa uns. „Nein, für dich“ sagte Anna. Vanessa wollte das zuerst nicht. „ich muss doch nach meiner Schwester gucken“ sagte sie. Aber der Sanitäter schaffte es sie zu beruhigen. „wenn wir im Krankenhaus sind, dann kannst du nach deiner Schwester gucken“ schlug er ihr vor.

Im Krankenhaus war dann erst einmal eine Menge anderer Dinge wichtiger. Anna und ich hatten uns gerade um die Aufnahmeformalitäten gekümmert, da kam auch schon Vanessas Vater. Er schien es recht eilig zu haben. Als Vanessa dann bettelte zu ihrer Schwester zu dürfen, sagte ihr Vater: „das ist etwas schwierig, deine Schwester liegt in Siegen.“ Als er dann erzählte, dass sie mit dem Hubschrauber verlegt worden war, wurde auch Anna und mir etwas mulmig. Schließlich schaffte ihr Daddy es, sie ein wenig zu beruhigen. „Die Anna und die Nicki bleiben auch bei dir“ versprach er. auch wenn ich mich normalerweise nicht gerne einfach so verplanen lasse, tat ich Vanessa und ihrem Vater den Gefallen gerne. Es dauerte die halbe Nacht lang bis die arme Vanessa endlich eingeschlafen war. An ihrem Finger hatte sie eine rot leuchtende Klammer, mit der Sauerstoffgehalt und Puls gemessen wurden. Der kleine Monitor, an dem das Gerät angeschlossen war, kam mir sehr bekannt vor. Mein Vater vertrieb solche und andere Geräte für den Hersteller. Das rühmliche Geräusch das das Gerät von sich gab machte es mir nach der ganzen Aufregung nicht gerade leicht, dabei wach zu bleiben.

Irgendwann weit nach Mitternacht war es dann endlich so weit. Ich dachte sogar einen kurzen Augenblick lang darüber nach, die Jacke die zusammen mit Vanessa ins Krankenhaus gekommen war mitzunehmen, hielt es aber für Pietätlos. Anna und ich schlichen uns leise aus Vanessas Zimmer und über den Flur der Station. Es war so leise, dass selbst Geräusche wie das Ticken der großen Bahnhofuhr die an der Wand hing und das leise Summen der Drosseln der Leuchtstofflampen mehr als deutlich zu vernehmen waren. Als sich dann die Türe der Station öffnete, erschrak ich regelrecht vor dem Geräusch des Türöffners. Sonst schien es aber niemanden zu stören. Das ganze Krankenhaus war gespenstisch still. Nur in der Notaufnahme saß Arbeiter im Rollstuhl der offenbar auf Behandlung wartete. An seinem rechten Fuß war ein schwerer Arbeitstiefel. Den linken nackigen fuß hatte er nach vorne ausgestreckt und auf einen der Stühle im wartebereich gelegt. Das riesige blaugrüne Ei an seinem Fuß legte mir die Vermutung nahe, dass er gebrochen war. – der Arme, dachte ich. Hat niemanden, der ihn abholt.

Annas Mama, die im gleichen Krankenhaus auf der HNO-Station Nachtdienst hatte, hatte uns, nach dem es so spät geworden war, angeboten uns in ihrer Pause nach Hause zu bringen. Als ich dann zuhause war, war meine Mama alles andere glücklich darüber, dass ich so lange weg war. sie hatte, ob wohl ich zuhause angerufen hatte, enorme Sorgen gemacht. Dennoch war sie froh, dass ich heile nachhause gekommen war. Am nächsten Morgen als ich am Frühstückstisch saß, bot mir meine Mama an, dass ich mal einen Tag aus der Schule bleiben kann. Nach so einer Nacht meinte sie, wäre ich eh nicht in der Lage zu lernen. Das war schon was Besonderes. Normalerweise musste die Welt untergehen, bevor ich zuhause bleiben dürfte. Ich wollte schon Anna anrufen und fragen, ob wir nach Siegen fahren, um Tessa zu besuchen, als meine Mama fragte: „und was ist mit den Rädern? Da ja auch noch die Räder der Zwillinge abzuholen waren, bot Mama an, sich einen Pferdehänger vom Reitstall zu holen um die Räder abzuholen. Mir kam das relativ recht, denn nach Fahrradfahren war mir einfach nicht.

An der Unfallstelle fand ich, womit ich nicht gerechnet hatte, neben dem Gebüsch von Vanessa gelegen hatte das rote Regenjackenpäckchen, auf dem Vanessa ihren Kopf liegen hatte. Ich zögerte noch einen Moment, dann tat ich es ins Auto. Danach half ich dann die Räder in den Hänger zu verladen. Tessas Rad lag noch immer im Bach. Wir hatten etwas Mühe es herauszufischen. Schließlich hatten wir 4 von 5 Rädern im Hänger. Wir wollten gerade den Drahtesel von Vanessas Freund verladen, als er überraschend auftauchte. Er bedankte sich dafür dass wir sein Rad in Sicherheit bringen wollten. In dem Moment konnte ich nicht anders, ich holte das Päckchen aus dem Auto gab es ihm und sagte: „Hier, das hab ich vorhin gefunden“ Vielleicht hoffte ich einfach dass er meine Ehrlichkeit belohnen und es mir geben würde. stattdessen sagte er nur „Danke“ steckte es sich in seinen Rucksack und wollte gerade auf sein Rad steigen, als ich nach meiner hellblauen Jacke fragte. „die hab ich nicht dabei, ich bring sie dir die Tage“ sagte er. jedenfalls hatte ich nicht das Gefühl, dass er mich bescheißen würde. noch nicht.

Wir stellten den Hänger zuhause ab, dann bot Mama uns an, gleich mal ins Krankenhaus zu Vanessa zu fahren. Da ich ja wusste wo sie lag, ging ich direkt ins Zimmer. Zu meiner Überraschung lagen dort, wo gestern Nacht noch Vanessa alleine gelegen hatte 2 ältere Herren. Der Eine hatte ein Gipsbein, das auf einer Art Rampe empor lag. Ich dachte zuerst, ich hätte mich im Zimmer geirrt, dann erfuhr ich aber, dass Vanessa schon entlassen worden war. mir war klar, wo sie war. also rein uns Auto und ab nach Siegen. Wenn ich geahnt hätte, was mich dort erwartete, wäre ich lieber nicht mitgekommen. Ich war so wie so nie gerne im Krankenhaus, aber diesen Anblick hielt ich einfach nicht aus. Die arme Tessa lag auf Intensiv um sie herum lauter Geräte, Kabel und Schläuche. Als ich dann erfuhr, dass sie noch immer im Koma lag, wurde mir ganz anders. – was wenn sie nie wieder aufwacht? Und was wenn sie nicht mehr laufen kann, was wenn sie einen bleibenden Hirnschaden davongetragen hatte. Laut dem was Vanessa uns unter Tränen erzählte, war das alles möglich.

Es dauerte keine 2 Tage bis eine vollkommen aufgedrehte Vanessa bei mir anrief: „sie ist wach sie ist wach sie ist wach“ mehr brachte sie nicht heraus. Zwischenzeitlich war Samstag und die Verkehrsverbindungen waren nicht gerade gut. So dauerte es gute 2 Stunden bis wir im Krankenhaus ankamen. Tessa war zwischenzeitlich von der Intensiv runter und sah auch schon wieder sehr manierlich aus. Wäre der Verband am Kopf nicht gewesen, hätte man glatt glauben können ihr fehlt nichts. Sie machte auch schon wieder blöde Witze wie: „Scheiße, wenn ich jetzt fliegen will, komm ich nicht durch den Scanner.“ So nach und nach erfuhr ich, dass 2 ihrer Rückenwirbel verschraubt werden mussten. Auch die Frage ob sie wieder laufen können wird, war schnell geklärt. Schon 3 Tage später bei unserem 2. Besuch musste ich sie suchen gehen. Mit ihrer Schwester saß sie im Freibereich der Cafeteria.

Als Anna und ich die „arme kranke Tessa“ besuchen kamen, beklagte sie sich etwas darüber dass ihr der Arzt verboten hatte, „richtig“ Fahrrad zu fahren, solange der Bruch nicht 100 % verheilt war. unter dem Kontext fand ich geplante Weihnachtsgeschenk für ihre Schwester, einen unverdienten Vorderreifen, nicht gerade passend. Ich wollte mich aber zurückhalten. Stattdessen fragte ich sie, ob ihr Freund vielleicht für mich etwas abgegeben hätte. „nö“ sagte sie, „außerdem hab ich den schon seit einer Woche oder so nicht mehr gesehen“ das machte mich dann doch ein wenig sauer. Ich vermutete dass er mich beschissen hatte und erzählte Vanessa von der ganzen Sache. „ich kümmer mich drum“ sagte sie. Dafür musste ich Vanessa versprechen, dass ich sie damit auf keinen Fall mehr behelligen würde.

Einige Tage später fand ich im Briefkasten einen geheimnisvollen braunen Umschlag. Darauf stand nur „Nicki“ mit einem dicken Edding in Druckbuchstaben geschrieben. Drin war jene rot blaue Schlupfjacke die ich so gerne behalten hätte. Ich habe nie erfahren, ob Vanessa ihn überredet hatte, mir das gute Stück doch zu überlassen, oder ob sie es vielleicht entwendet hatte. Das wäre dann auch die Erklärung gewesen, warum sie mir die Jacke nicht persönlich überreicht hatte. Eine andere Möglichkeit sah ich darin, dass ihr Freund mir die Jacke in den Briefkasten gesteckt hatte.

Was aus ihm und der türkisfarbenen K-Way geworden ist habe ich nie erfahren. Eines stand jedoch fest. Diese Jacke würde ich in Ehren halten und auch ungeniert in der Öffentlichkeit tragen, denn selbst wenn Vanessas Freund mich damit erwischen und Anspruch erheben würde, solange er meine K-Way hatte, würde ich sie ihm dieses Mal nicht wieder mitgeben.