Karneval

Ich hatte etwas Langeweile, und war mal wieder meine Klamotten am Durchsichten. Ich hatte gerade die alte hölzerne Truhe am Fußende meines Bettes, wo ich jene Klamotten aufbewahrte, die man so ohne weiteres in der Öffentlichkeit eher weniger tragen konnte geöffnet, als mir wieder mein weißes K-Way Kleid in die Finger fiel. Ich hatte das Teil von Cornelia, einer Freundin, die nach London zum Studium gegangen war.

Wenn du das so draußen anziehst, sperren sie dich in die Klapse – dachte ich so bei mir. Da ich nicht draußen unterwegs war, beschloss ich, es einfach einmal überzuziehen. Ich hatte es gerade über meinen kurzärmligen roten Adidas Overall angezogen, als ich die Stimme meiner Schwester hörte: „Na Schwesterchen, probierst du dein Faschingskostüm?“

Ich war total überrascht. Hatte ich doch gar nicht mitbekommen, dass meine Schwester gekommen war. „Ja.“ Sagte ich, ohne darüber nachzudenken, denn eigentlich hatte ich in diesem Jahr nicht wirklich vor Fasching zu feiern. Dann lud meine Schwester mich zu sich nach Köln ein. das Angebot konnte ich natürlich nicht ausschlagen. „du kannst natürlich auch deine Anna mitnehmen.“ Sagte meine Schwester. Ich war so wie so davon ausgegangen.

Gleich nach dem ich den roten Anzug und das weiße Regenkleid in meinem Rucksack versteckt hatte, machte ich mich auf den Weg zu Anna, um ihr die freudige Nachricht zu überbringen. Als ich ankam, saß Jenny, Annas kleine Schwester da wie ein Schluck Wasser in der Kurve.

Ich fragte sie gleich, ob sie vielleicht nicht auch Lust hatte, mit zu kommen. Jennys Laune besserte sich ein wenig. Als ich ihr dann vorschlug, auch Kim einzuladen, sagte Jenny: „lass mich bloß mit der blöden Kuh in Frieden!“ Ihre Mama klärte mich dann erst einmal auf. Kim, Jennys Freundin wollte eigentlich mit Jenny auf eine Karnevalparty, aber hatte dann wegen ihrem neuen Freund, den sie seit ein Paar tagen hatte, abgesagt.

Am nächsten Tag bekam ich einen Anruf von Jenny. „darf ich doch mitkommen?“ fragte sie ganz aufgeregt. Noch am Vortag sah es so aus, als ob Jenny keine Lust hatte. „natürlich!“ sagte ich. Dann fragte Jenny, ob mein Angebot, eine weitere Begleitperson mitzubringen noch stand. Auch hier sagte ich nicht nein, und ging davon aus, dass Kim sich es vielleicht anders überlegt hatte.

Zur Feier des Tages lud Anna ihre Schwester und mich auf eine Pizza ein. als wir uns dann in die Pizzeria setzten, trafen wir auf einen zwischenzeitlich eher seltenen Anblick. Die Zwillingsschwestern Tessa und Vanessa. Als ich den Beiden erzählte, was wir vorhatten, fragte Tessa gleich: „und uns fragt ihr nicht?“ Anna entschuldigte sich gleich und sagte: „Sorry, ich dachte ihr feiert nur Heloween“. Vanessa erwiderte dann: „du weißt doch, dass wir jede Party feiern.“

Wie selbstverständlich lud Anna die Beiden mit ein. Mit schrecken dachte ich daran, dass die Wohnung meiner Schwester wohl doch ein wenig eng werden würde. Ich rief gleich bei meiner Schwester an, und fragte nach ob das klar gehen würde. Die Lösung meiner Schwester für das Problem überraschte mich sehr. „wir wohnen so lange meinen Eltern“ sagte sie. Ich dachte erst, das würde sie für mich machen, doch dann erklärte sie mir, dass sie, jetzt wo der Nachwuchs da ist, dem Troubel liebend gerne aus dem Weg ging. Was bot sich da besser an, als die Zeit bei uns in der Gegend zu verbringen, wo relativ wenig gefeiert wurde.

Während wir weiter auf unsere Pizza warteten, fiel mir wieder ein, wie das damals war, als Anna, die Zwillinge und ich damals als Powerpuffgirls gegangen waren. Anna als Blossom, Vanessa als Buttercup, ihre Schwester als Buttercups böse Zwillingsschwester und ich als die kleine süße Bubbles.

Als ich das erwähnte, hatte ich schon fast ein wenig Schiss, dass Anna und die Anderen vielleicht wieder auf die Idee kommen würden, aber Gott sei Dank hatte niemand diese Idee. Anna erwähnte nur, dass sie schon eine konkrete Kostümidee hatte. wollte aber nicht verraten was. Ich hatte ja auch schon eine Idee. und offenbar auch Jenny.

Samstags wollten wir fahren. Als ich von der Arbeit nach Hause kam, um meinen Rucksack mit den Klamotten zu holen, erwartete mich eine Überraschung. Anna war in meinem Zimmer. Meine Mama hatte sie offenbar hineingelassen. Die Türen meiner Kleiderschränke waren offen. Anna war gerade dabei, die Truhe vor meinem bett zu durchwühlen.

Ich konnte es mir erst nicht richtig vorstellen, aber dann ging mir ein Licht auf. Anna suchte wohl nach meinem weißen Regenkleid. Ich öffnete meinen Rucksack, und zog das Teil hervor. „Suchst du das hier?“ fragte ich grinsend. Offenbar hatte ich Recht behalten. aber es war nun mal schon Teil meines Kostüms.

Anna sah es nicht ganz so eng. Sie hatte ihr Kostüm ja schon mehr oder weniger komplett, das Regenkleid wäre eben nur das I-Tüpfelchen gewesen. Als ich dann bevor wir uns auf den Weg machten, um Jenny und ihre Begleitung abzuholen meinen transparenten Regenmantel einpackte, fragte Anna mich, ob ich nicht auch was an Regensachen für sie hätte.

Ich dachte erst, sie wollte sich meine weiße K-Way Jacke nehmen. Aber Anna griff zielsicher nach einer orangefarbenen Schlupfjacke. „passt besser zu meinem Kostüm“ sagte sie. grinsend. Das verwirrte mich total, denn nun, als ich glaubte zu wissen, was Anna für ein Kostüm tragen würde, schien ich schon wieder auf dem Holzweg.

Dann fuhren wir los, um Jenny abzuholen. Anna fuhr. Ich dachte erst, dass wir bei Kim vorbeifahren. Aber dann fuhr Anna wo ganz anders hin. Als Jennys Freundin dann mit ihr zusammen aus dem Haus kam, dämmerte es mir erst. Es war Sabrina. Eine Volleyballkameradin von Jenny. ich dachte eigentlich, dass Jenny mit ihr nicht mehr so viel Kontakt hatte, aber so kann man sich irren.

Im Gegensatz zu uns hatten Sabrina und Jenny schon ihre Kostüme an. die beiden gingen offenbar als Piratenbräute. Eigentlich nicht weiter verwunderlich, denn Jenny ist total vernarrt in die Fluch der Karibik Filme.

Die Outfits der beiden waren relativ identisch. Abgetragene T-Shirts darüber zerfranste Jeanswesten und dazu kurze Jeans über Strümpfen. Während Jennys offenbar serienmäßig so kurz waren, schienen die von Sabrina selbst abgeschnitten zu sein.

Auf der ganzen Fahrt redeten wir nicht viel. Nur Anna machte sich ein wenig über Jennys und Sabrinas Kostümwahl lustig. Sie machte solche Scherze wie „One in a Million“ zu singen, oder im leicht sarkastischen Tonfall Sprüche wie „So was originelles hab ich ja noch nie gesehen“ los zu werden.  Sie spielte damit ganz bewusst darauf an, dass Piratenkostüme wohl dieses Jahr sehr angesagt sein würden.

Jenny und Sabrina ließen sich davon allerdings nicht die Laune verderben. Immerhin sahen sie ja richtig gut aus, was ich den Beiden auch so bestätigte. Ich zwang auch Anna, das zuzugeben.

Zu erst zog Anna sich um. Nach dem ich dann das lange schlabberige olivfarbene T-Shirt, die 2 verschiedenfarbigen ringelsöckchen, und die ins gesicht geschminkten extremsommersprossen sah, war mir sofort klar, was hier gespielt wurde.

Ich ärgerte mich, denn eigentlich hätte ich sofort drauf kommen können, da Anna schon den ganzen Tag mit Zöpfchen rum lief. Nur jetzt standen sie scheinbar wie durch Zauberei fast Waagrecht zur Seite. Wie Anna das bewerkstelligt hatte, wollte sie mir aber dann doch nicht verraten.

Ich war dann schließlich als letzte dran. Mein Krankenschwesterkostüm schien den anderen zu gefallen. Die Zwillinge, in zwischen eingetroffen, machten einige dumme Kommentare, aber das war schon okay. Dass die Beiden als Donna Summer und Whitney Huston kamen, damit hätte ich eigentlich rechnen müssen.

Als wir dann gingen, zog sich Sabrina eine dunkelblaue Glanznylonschlupfjacke über. ich war mir sicher, es war eines von meinen Stücken. Ich hatte diese Jacke vor einiger Zeit von Ben bekommen. Ich war mir sicher, dass es diese Jacke war, erkannte ich sie doch an den leicht vergilbten Reißverschlüssen.

Mir war auch klar, woher Sabrina die Jacke hatte. ich fragte Anna danach. Sie entschuldigte sich gleich, und erklärte mir, dass Sabrina um die Jacke gebeten hatte. Für mich war das kein Problem, aber ich wunderte mich schon ein wenig, warum ausgerechnet diese Jacke.

Die Erklärung war relativ einfach. Eigentlich wollte Sabrina meine rotblau abgesetzte dünne Glanznylonregenjacke haben. Da diese im eingepackten Zustand aber so ähnlich aussah, hatte Anna von ausersehen die falsche Jacke ausgesucht. Ich fand das recht witzig, da die von Sabrina gesuchte Jacke eigentlich recht offensichtlich auf einem Kleiderbügel in meinem Schrank gehangen hatte. und zwar nicht weit von dem zusammengerollten Päckchen. Wie dem auch war, ich fand, dass die Jacke Sabrina recht gut stand. Nur verdeckte sie eben nahezu ihr komplettes Kostüm.

In dem Saal wo wir feierten, gab es keine richtige Gardarobe. Nur eine ganze Reihe von offenbar notdürftig aufgestellten Kleiderständern. Als wir kamen, waren diese noch relativ leer, da wir mit die ersten waren. Bei dem Gedanken, meinen Mantel so alleine zu lassen, fühlte ich mich nicht wirklich wohl. Sabrina hatte offenbar kein Grosses Problem damit, ihre Jacke einfach so auf einen der Bügel zu hängen. Anna zog ihre zwar auch aus, band sie sich aber dann einfach um den Bauch. 

Mit der Zeit wurde es dann doch relativ voll. Irgendwie bekam ich ein ungutes Gefühl. Ich beschloss, einmal nach der Jacke zu sehen. Gegebenenfalls, so war mein Plan, wollte ich sie mir gleich wieder nehmen. Damit es nicht so auffiel beschloss ich, meinen transparenten Mantel in Annas Obhut zu lassen. Wie viele Jacken hier hingen war doch wirklich erstaunlich. Zwischen den ganzen anderen Klamotten war es schwer, die Jacke auszumachen.

Ich war gerade am Suchen, als mich eine Dame ansprach: „suchst du was bestimmtes?“ fragte sie. „meine dünne dunkelblaue Regenjacke“ sagte ich. Mit einem zielsicheren griff zog die gute Frau eine eben solche hervor. Es war jedoch nicht die, die ich von Ben hatte, sondern eine von Adidas. Vorne mit durchgehendem Reißverschluss. Die Schultern waren rot abgesetzt mit weißen Streifen.

Genau solch eine Jacke hatte ich schon mal verzweifelt gesucht. Jetzt oder nie – dachte ich und sagte: „genau die“. Dann zog ich mir das Teil gleich über, und ging einmal frische Luft tanken. Mein weißes Regenkleid wirkte unter der Jacke wie eine Art Rock. Gott sei Dank sagte niemand etwas zu meinem doch etwas merkwürdig anmutenden Outfit.

Ich war wohl recht lange draußen unterwegs. Als ich wieder kam, hatten sich die Reihen an Jacken schon ordentlich gelichtet. Ich beschloss, um kein Aufsehen zu erregen, die Jacke wieder zurück zu geben. Es war aber niemand mehr an der Gardarobe. Also hängte ich sie einfach an den nächst besten Bügel.

 

 

 

Als ich die Jacke gerade in der Hand hatte, fiel mir mit Entsetzen auf, dass sie in der Nähe des Reißverschlusses etwas oberhalb der linken Tasche eine art kleines Brandloch hatte. Es war ca. 3 Millimeter breit und knapp einen Centimeter lang. Ich war mir zimlich sicher, dass mir das nicht passiert war. nur fragte ich mich schon, warum es mir dann nicht schon aufgefallen war, als ich die Jacke angezogen hatte.

Als ich wieder in den Saal kam, hatte Anna meinen Mantel einfach übergezogen. „glaubst du, ich halt das Teil die ganze Zeit in der Hand?“ sagte sie lachend. Wir feierten noch eine Weile, dann beschlossen wir, den Abend im Restaurant ausklingen zu lassen.

Als ich Anna bat, mir den Mantel wieder zu geben, machte sie ihr orangefarbenes K-way Päckchen ab, und gab es mir. „das kannst du haben.“ Sagte sie grinsend. Die anderen fanden das schon ein wenig lustig. Aber ich gönnte Anna und den Anderen ihren Spaß.

Als Anna und ich den Saal verließen, waren Jenny und Sabrina schon draußen. Zu meiner Verwunderung trug Sabrina Jennys transparente PVC Jacke. Jenny hatte sich gerade meine dunkelblaue Schlupfjacke übergestülpt. Mich wunderte es schon ein wenig, dass Jenny ihre transparente Jacke Sabrina gegeben hatte.

Dann sah ich, dass die blaue Jacke mit den roten Schultern weg war. ich vermutete erst, Jenny hätte sie unter die blaue Schlupfjacke gezogen, konnte aber nichts ausmachen. Dass Jenny die blaue Jacke, auch als wir bei Burgerking waren, nicht auszog, stärkte mich in meinem verdacht.

Wir blieben noch bis zum Sonntag Abend in Köln. Ich wäre ja gerne noch geblieben, aber weder ich noch Anna hatten Urlaub. Und auch Jenny und Sabrina mussten am Montag in die Schule. Als wir Sonntags Abends das Chaos in der Wohnung beseitigten, nutzte ich die Gelegenheit, um nach der blauen Jacke zu suchen. Jenny erwischte mich dabei. „suchst du was bestimmtes?“ fragte sie mich.

Ich erzählte ihr von der Jacke. Jenny beteuerte, nichts davon zu wissen. Nun war ich etwas ratlos – hatte sie die Jacke nun doch nicht gemopst, oder konnte sie nur einfach verdammt gut lügen. Wie dem auch war, ich fand die Jacke nicht, damit schloss ich das Kapitel erst einmal ab.

Ein paar Wochen später war zwischen Jenny und Kim die Welt wieder in Ordnung. Die Beiden trafen sich wieder regelmäßig, als wäre nie etwas gewesen. Eines Tages traf mich dann fast der Schlag. Kim hatte doch Tatsächlich eine dunkelblaue Adidas Glanznylonregenjacke mit rot abgesetzten Schultern an. an dem kleinen Brandloch erkannte ich sofort, dass es jene Jacke war, die ich mir in Köln heimlich ausgeliehen hatte.

Ich war mir so sicher, dass Jenny die Jacke nicht gemopst hatte. schliesslich hatte ich doch fast alles duchsucht. Ich musste es einfach wissen. Jenny noch mal zu fragen, hielt ich für relativ sinnlos, da sie warscheinlich eh wieder lügen würde. also fragte ich Kim direkt, woher sie die Jacke hatte.

Sie erzählte mir, dass sie das Teil in einem Second Hand Laden gefunden hatte. nun blieb nur noch zu klären, ob ich das Loch gemacht hatte, oder doch nicht. Ich zeigte auf das Loch, und fragte: „wie ist das denn passiert?“ Kim erzählte mir, dass das Loch schon drin war, als sie die Jacke gekauft hatte, weswegen sie auch so billig gewesen ist.

Das war mein Einsatz. Ich fragte Kim, ob ich die Jacke haben kann. Sie bedauerte: „die Jacke gefällt mir selbst so gut.“ Sagte sie. dann bot sie mir an, mir die Jacke mal zu leihen. Ich nahm natürlich gleich dankend an, und versprach ihr, im Gegenzug dafür zu sorgen, dass das Loch gestopft wird.

Ich probierte die Jacke mit verschiedenen anderen Sachen aus. Unter anderem mit dem weißen K-Way Overall, den ich vor einiger Zeit von Kim bekommen hatte. Das sah auch Kim, und ihr gefiel es. Als ich ihr die Jacke wieder gab, bat sie mich, ihr noch mal den Overall zu leihen.

Nach einigen Tagen kam kim zu mir und sagte: „ich hab was für dich.“ Ich dachte, sie wollte mir den weißen Overall wieder bringen. Stattdessen zog sie die blaue Adidas Jacke mit den roten Schultern aus ihrem Rucksack. Sie erklärte mir, dass sie vergessen hatte, wie sehr ihr der weiße Overall gefallen hat, und tauschen wollte.

Mir fiel es nicht leicht, ja zu sagen. Deswegen bot Kim mir an, dass ich mir den Overall wenn ich möchte, jederzeit leihen kann. Das hat mir die Entscheidung schon erleichtert, auch wenn ich bis heute nicht von ihrem Angebot gebrauch machte.